Auf der Strecke geblieben
am Donnerstag, 30. Oktober 2008, 02:01 im Topic 'Dark Side'
Ich kann nicht schlafen. Seit ungefähr einer Stunde versuche ich schon die Augen zu schließen und einfach an nichts mehr zu denken. Aber irgendwie funktioniert das nicht. Stattdessen geht mir immer wieder die Frage durch den Kopf: „Warum ist das so?“ „Wann genau ist mein eigenes Leben eigentlich auf der Strecke geblieben?“
War es in dem Jahr, als der Lungenkrebs meines Großvaters das Endstadium erreichte und ich immer neue Ausflüchte gefunden habe um nicht nach Hause gehen zu müssen. Ich habe sogar einen einstündigen Umweg von der Schule nach Hause in kauf genommen um bloß nicht durch diese verdammte Haustür gehen zu müssen. Oder war es an diesem Weihnachtsmorgen an dem er gestorben ist? An dem sich alle von ihm verabschieden konnten, außer mir?
Vielleicht war es auch nach dem Selbstmordversuch meiner Mutter, weil ich Angst hatte, sie könnte es noch einmal versuchen. Am wahrscheinlichsten ist es aber wohl doch, dass es in den sechs Jahren, in denen ich meine Großmutter gepflegt habe, passiert ist.
Man stellt seine Wünsche und Träume immer zum Wohl der Anderen hinten an. Ich kann sie nicht einfach allein lassen. Dafür fühl ich mich einfach zu verantwortlich. Aber wenn man seine Träume und Wünsche immer hinter die Bedürfnisse der Anderen stell, dann verschwinden sie irgendwann. Irgendwann ist einfach nichts mehr übrig von dem, was man sich als Kind erträumt hat. Begraben unter einen Berg von Pflichtbewusstsein. Auf die Frage was ich mir für meine Zukunft wünsche, welche Träume ich habe, was ich tun möchte wenn ich mein Studium beendet habe, konnte ich keine Antwort geben. Da war nichts, nur ein großes schwarzes Loch....
Irgendwann im Laufe der letzten zehn Jahr, in denen meine Aufmerksamkeit immer den Sorgen und Problemen Anderer galt, bin ich selbst auf der Strecke geblieben und bisher habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich mich jemals wieder einsammeln soll.
(Und genau solche Texte sind der Grund für ein Pseudonym...)
War es in dem Jahr, als der Lungenkrebs meines Großvaters das Endstadium erreichte und ich immer neue Ausflüchte gefunden habe um nicht nach Hause gehen zu müssen. Ich habe sogar einen einstündigen Umweg von der Schule nach Hause in kauf genommen um bloß nicht durch diese verdammte Haustür gehen zu müssen. Oder war es an diesem Weihnachtsmorgen an dem er gestorben ist? An dem sich alle von ihm verabschieden konnten, außer mir?
Vielleicht war es auch nach dem Selbstmordversuch meiner Mutter, weil ich Angst hatte, sie könnte es noch einmal versuchen. Am wahrscheinlichsten ist es aber wohl doch, dass es in den sechs Jahren, in denen ich meine Großmutter gepflegt habe, passiert ist.
Man stellt seine Wünsche und Träume immer zum Wohl der Anderen hinten an. Ich kann sie nicht einfach allein lassen. Dafür fühl ich mich einfach zu verantwortlich. Aber wenn man seine Träume und Wünsche immer hinter die Bedürfnisse der Anderen stell, dann verschwinden sie irgendwann. Irgendwann ist einfach nichts mehr übrig von dem, was man sich als Kind erträumt hat. Begraben unter einen Berg von Pflichtbewusstsein. Auf die Frage was ich mir für meine Zukunft wünsche, welche Träume ich habe, was ich tun möchte wenn ich mein Studium beendet habe, konnte ich keine Antwort geben. Da war nichts, nur ein großes schwarzes Loch....
Irgendwann im Laufe der letzten zehn Jahr, in denen meine Aufmerksamkeit immer den Sorgen und Problemen Anderer galt, bin ich selbst auf der Strecke geblieben und bisher habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich mich jemals wieder einsammeln soll.
(Und genau solche Texte sind der Grund für ein Pseudonym...)
jeque,
Samstag, 1. November 2008, 13:38
Je mehr du hier von dir preisgibst, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass die Geschichte mit der begonnenen Therapie eine absolut richtige Entscheidung deinerseits gewesen ist und du so was von keinen Grund hast, dich deiner Texte, Gefühle und Gedanken zu schämen.
Ich meine Selbstvorwürfe heraus gelesen zu haben, als du vom Sterben deines Großvaters berichtetest. Dazu kann ich dir nur sagen, dass dein Verhalten, dein Ausweichen der Situation, absolut gerechtfertigt gewesen ist, so blöd das jetzt auch klingen mag. Der Umgang mit Sterbenden ist so ziemlich der Schwierigste auf dieser Welt, weil 1. der Anblick unheilbar Kranker kein schöner ist, und 2. hat man eigentlich immer Schwierigkeiten mit dem Verhalten der Sterbenden.
Eine examinierte Krankenschwester, die eine Zeit lang in einem Hospiz gearbeitet hat, sagte mir einmal, dass der nahende Tod für die Angehörigen immer schwerer zu ertragen sei als für den Sterbenden selbst. Viele sind mit der Situation schlicht überfordert und ziehen sich zurück. Ein Freund von mir hat damals seine junge Frau durch Lungenkrebs verloren. Sie war seine große Liebe, trotzdem ist er in den letzten Wochen vor ihrem Tod ständig aus dem gemeinsamen Haus geflüchtet, weil er den charakteristischen süßlichen Geruch, welcher sich zusehendst breit machte, nicht aushalten konnte.
Ich lese gerade das Buch "Interviews mit Sterbenden" von Kübler-Ross, welches sich zwar nicht gerade an die Hinterbliebenen richtet, sondern eben das schildert, was Sterbenden so alles durch den Kopf geht, welche Phasen sie durchmachen usw., aber vielleicht würde dir das helfen, deinen Großvater, die Situation von damals und dich selbst besser zu verstehen.
Nächster Punkt: Du hast deine Oma lange Jahre lang gepflegt, was zweifelsohne Knochenarbeit ist und schon vielevieleviele Angehörige zermürbt hat. Ich kenne eine Frau, die ihren Vater, ihren Mann und ihre Mutter gepflegt hat und jetzt am Ende ihrer Kräfte ist. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der die Gesellschaft zusehendst vergreist, die Kranken- und Pflegekassen immer weniger zahlen und die Angehörigen immer mehr in die Pflicht genommen werden, sich um ihre Verwandten zu kümmern, ist das absolut nichts ungewöhnliches.
Es ist kein Wunder, dass du, wo du all die Jahre alles zurückgesteckt hast, keinen Zugang mehr zu dir selbst findest.
Deshalb ist die Therapie ein erster, wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn was gerne immer wieder vergessen wird:
Das Wichtigste bei der Pflege anderer Menschen ist die SELBSTpflege.
Ich wünsche dir alles Gute. Mensch. *knuddel*
Rote Grütze
Yve
Ich meine Selbstvorwürfe heraus gelesen zu haben, als du vom Sterben deines Großvaters berichtetest. Dazu kann ich dir nur sagen, dass dein Verhalten, dein Ausweichen der Situation, absolut gerechtfertigt gewesen ist, so blöd das jetzt auch klingen mag. Der Umgang mit Sterbenden ist so ziemlich der Schwierigste auf dieser Welt, weil 1. der Anblick unheilbar Kranker kein schöner ist, und 2. hat man eigentlich immer Schwierigkeiten mit dem Verhalten der Sterbenden.
Eine examinierte Krankenschwester, die eine Zeit lang in einem Hospiz gearbeitet hat, sagte mir einmal, dass der nahende Tod für die Angehörigen immer schwerer zu ertragen sei als für den Sterbenden selbst. Viele sind mit der Situation schlicht überfordert und ziehen sich zurück. Ein Freund von mir hat damals seine junge Frau durch Lungenkrebs verloren. Sie war seine große Liebe, trotzdem ist er in den letzten Wochen vor ihrem Tod ständig aus dem gemeinsamen Haus geflüchtet, weil er den charakteristischen süßlichen Geruch, welcher sich zusehendst breit machte, nicht aushalten konnte.
Ich lese gerade das Buch "Interviews mit Sterbenden" von Kübler-Ross, welches sich zwar nicht gerade an die Hinterbliebenen richtet, sondern eben das schildert, was Sterbenden so alles durch den Kopf geht, welche Phasen sie durchmachen usw., aber vielleicht würde dir das helfen, deinen Großvater, die Situation von damals und dich selbst besser zu verstehen.
Nächster Punkt: Du hast deine Oma lange Jahre lang gepflegt, was zweifelsohne Knochenarbeit ist und schon vielevieleviele Angehörige zermürbt hat. Ich kenne eine Frau, die ihren Vater, ihren Mann und ihre Mutter gepflegt hat und jetzt am Ende ihrer Kräfte ist. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der die Gesellschaft zusehendst vergreist, die Kranken- und Pflegekassen immer weniger zahlen und die Angehörigen immer mehr in die Pflicht genommen werden, sich um ihre Verwandten zu kümmern, ist das absolut nichts ungewöhnliches.
Es ist kein Wunder, dass du, wo du all die Jahre alles zurückgesteckt hast, keinen Zugang mehr zu dir selbst findest.
Deshalb ist die Therapie ein erster, wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn was gerne immer wieder vergessen wird:
Das Wichtigste bei der Pflege anderer Menschen ist die SELBSTpflege.
Ich wünsche dir alles Gute. Mensch. *knuddel*
Rote Grütze
Yve
josephine_drake,
Samstag, 1. November 2008, 16:31
Ja, ich denke auch, dass es die richtige Entscheidung für mich war zu einer Therapeutin zu gehen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man einfach nicht mehr kann. Für mich war der Anfang diesen Jahres erreicht und endete dann in einem Nervenzusammenbruch. Ein Wunder das ich in dem Zustand in dem ich da war noch heil mit dem Auto nach Hause gekommen bin...
Naja, jedenfalls bin ich ganz froh, dass es nächste Woche dann endlich richtig los geht mit der Therapie. Außerdem hilft mir das schreiben hier. Deshalb ist es mir auch so wichtig, dass es niemand aus meinem direkten Umfeld mitbekommt. Ok, du kennst mich auch, aber (entschuldige wenn ich das so sage) dir muss ich nicht direkt ins Gesicht sehen. Da ist es doch noch etwas anders.
Ich steh noch ganz am Anfang, was das Klarkommen mit mir und meinem Leben angeht, aber ich versuch es wieder in Ordnung zu bringen.
Naja, jedenfalls bin ich ganz froh, dass es nächste Woche dann endlich richtig los geht mit der Therapie. Außerdem hilft mir das schreiben hier. Deshalb ist es mir auch so wichtig, dass es niemand aus meinem direkten Umfeld mitbekommt. Ok, du kennst mich auch, aber (entschuldige wenn ich das so sage) dir muss ich nicht direkt ins Gesicht sehen. Da ist es doch noch etwas anders.
Ich steh noch ganz am Anfang, was das Klarkommen mit mir und meinem Leben angeht, aber ich versuch es wieder in Ordnung zu bringen.