Dark side - Verlaufen im Gedankengang
Lernen stolz zu sein
Irgendwie dachte ich, ich wäre erleichtert. Endlich liegt der 130 Seiten umfassende Brocken, an dem ich seit Monaten schreibe hier neben mir. Wunderschön anzusehen in seiner bordeauxroten Hardcoverbindung. Seit gestern bin ich endlich fertig und war heute an der Hochschule um drei Exemplare abzugeben. Naja und da dachte ich, wenn ich es abgegeben habe, dann fällt mir ein Stein vom Herzen. Bisher hat sich das Gefühl allerdings noch nicht eingestellt... Da ist immer noch einfach nur dieser kleine verkrampfte Klumpen, der irgendwann mal mein Magen war. Sollte es mir nicht besser gehen? Immerhin habe ich ein großes Stück geschafft.
Meine Therapeutin hat mich beim letzten mal gefragt, was passieren müsste, damit ich stolz auf mich bin. Tja... ich hab nicht die geringste Ahnung. Ich weiß nicht mal, wann ich überhaupt mal stolz auf mich war. Also so richtig stolz. Das muss schon ziemlich lange her sein... Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, es allen anderen recht zu machen und von dieser Seite Anerkennung zu erhaschen. Das Gefühl nicht den Erwartungen zu entsprechen ist dabei ziemlich groß. Wahrscheinlich ist es auch genau das, was mich jetzt davon abhält mich richtig darüber zu freuen, dass ich meine Diplomarbeit abgegeben habe. Ich weiß nicht ob das, was ich da geschrieben habe das ist, was mein Prof. von mir erwartet. Was wenn es ihm nicht gefällt? Was wenn ich es komplett falsch gemacht habe? Da ist es auch egal, das mir andere sagen es wäre gut, so ganz kann ich es nicht glauben, denn es hängt ja doch alles von meinem Prof. ab. Jetzt muss ich warten bis er irgendwas dazu sagt. Wenn er denn irgendwann irgendwas sagt... Ich hasse dieses Warten!

Ansonsten kann ich aber behaupten, dass ich mich nach ein paar Tagen jetzt wieder einigermaßen gefangen habe. Balancieren wir also weiter auf der roten Linie die vor dem tiefen Abgrund warnt.

Vielen Dank fürs gut zureden Yvonne!

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jeque, Mittwoch, 19. November 2008, 13:30
Komme mir langsam wie´n Spanner oder Spamer vor, weil ich dich ständig mit meiner Sicht der Dinge behellige, aber deine Texte laden mich geradezu dazu ein - sag einfach Bescheid, wenn´s dir zu blöd wird.
Jetzt ist es aber wieder Zeit für meinen Senf, der diesmal kein Ratschlag ist, weil ich deine Problematik irgendwoher kenne und selbst noch keine Patentlösung darauf gefunden habe.
Also: Ja, es ist ein hartes Stück Brot, irgendwas Positives an sich zu sehen oder gar ne Runde einfach mal stolz auf sich zu sein. Schon diverse Therapeuten sind da an mir schier verzweifelt.
"Frau Sowieso, niemand versteht es so gut Sie nieder zu machen wie Sie selbst", musste ich mir schon mehrmals anhören. Stimmt ja auch. Muss den anderen ja zuvorkommen, denn wenn man sich bereits kleiner gemacht hat als man vielleicht in Wirklichkeit ist, haben andere gar nicht erst die Chance irgendwas kaputt zu machen.
Einmal bin ich in ne Gruppe für Essgestörte gesteckt worden, was ich ziemlich albern fand, aber die Therapeutin war wohl der Meinung, dass Essen und Schuldgefühle bei mir Hand in Hand gingen, also bin ich hin - und hätte nonstop kotzen können, weil ich mich ob meines Essverhaltens in Grund und Boden schämte. Die ersten zwei Sitzungen bekam ich zur Verwunderung aller kaum ein Wort heraus, danach drehte ich den Spiess aber um und tat das, was ich am allerbesten kann: Alles ins Lächerliche ziehen und Witze reissen, wo´s nur ging. So antwortete ich auf Fragen wie "Was sind Ihre Stärken?" mit "Ich kann gut schlecht singen" und so, wenn ich die Therapeutin nicht gerade auslachte und die ganze Gruppe gegen sie aufhetzte. Das ist nämlich, was ich tatsächlich mal ohne Bauchschmerzen zugeben kann, tatsächlich eine Stärke von mir: Ich kann prima Leute dirigieren. Das ist ganz lustig zu beobachten, weil ich mir, wenn ich neu in ne Gruppe komme, sei´s nun kliniktechnisch oder jobmäßig, vor lauter Angst vor den fremden Leuten regelmäßig in die Hose mache und erst mal ganz pauschal davon ausgehe, dass alle mich hassen - drei Wochen später bin ich dann aber plötzlich inoffiziell der Boss eben jener Menschen. Ich hab keine Ahnung, wie ich das mache, aber es passiert immer wieder, und irgendwann meinte ne Psychologin mal zu mir, dass so was nicht jeder können würde und das ein Talent wäre. Wie schön, ich bin also nicht ganz so talentfei, wie ich mir immer eingeredet habe, und es würde Sinn machen, dieses Talent beruflich zu nutzen - nur zu blöd, dass ich mich mein Leben lang immer so klein gehalten habe, dass ich es bis jetzt zu nix gebracht habe. Womit wir wieder beim ewigen Kreislauf des Sich-Niedermachens wären.

Was ich mit dieser Reflexion sagen möchte:
Es ist so was von einfach etwas Negatives über sich selbst zu sagen als was Positives. Demnach ist es riesenschwer mal richtig stolz auf seine Leistungen zu sein.
Du bist aber auf dem richtigen Weg, behaupte ich mal, denn du hast Selbstbewusstsein, das heisst du bist dir deiner bewusst, was mit Sicherheit nicht immer so gewesen ist, wenn ich an deine Pflege- und Beziehungsgeschichten denke. Aber dein Selbstwertgefühl dümpelt irgendwo unterhalb des Äquators ganz mickrig vor sich hin, und das irgendwann mal auf Augenhöhe wachsen zu lassen, ist harte Arbeit.
Aber da ich in deinen Texten den Willen dazu zu erkennen glaube (immerhin haste die Problematik erkannt), bin ich was das angeht ganz zuversichtlich :-)
In diesem Sinne:
TSCHACKA!

Yve

josephine_drake, Donnerstag, 20. November 2008, 22:29
Also, wenn dich das beruhig, mir kommst du nicht wie ein Spanner vor. Ich mein, immerhin entscheide ich ja was ich hier reinschreibe. Außerdem bist du wahrscheinlich eh die einzige die sich die Mühe macht das ganze Gebrabbel zu lesen ;-)

Und das mit dem selbst nieder machen, ja das kenn ich nur zu gut. Früher hab ich mich auch immer selbst über mein Gewicht lustig gemacht, weil dann konnten mich die anderen nicht damit treffen. Nagut, das ist ne andere dunkel Geschicht.

Aber ich geb mir Mühe. Meine Therapeutin sagt, ich hätte ein super durchahltevermögen, ich sag, ich bin einfach zu stur zum aufgeben... Ähm... lassen wir das lieber für heute.

c17h19no3, Samstag, 22. November 2008, 19:46
das erste, war mir nach abgabe meiner arbeit einfiel, waren all die dinge, die ich vergessen hatte. und ich glaubte, meine arbeit könnte keinesfalls mehr werden als eine drei. meine professorin versprach mir, die arbeit einmal zu überfliegen und mir nach zwei wochen einen ersten eindruck mitzuteilen. als sie das nicht tat, dachte ich, sie wolle mich schonen, weil die arbeit so schauerlich war. tatsächlich aber war sie letzten endes so begeistert, dass sie mir die promotion anbot. und erst da war ich richtig stolz auf mich.